Netze überlastet: Eon-Chef warnt Merz vor zu schnellem Ausbau von Wind und Sonne (01.12.2025)
Deutschlands Stromnetze geraten an die Grenze. Der Eon-Chef warnt die Merz-Regierung: Der Ausbau der erneuerbaren Energien müsse dringend gebremst werden.
Deutschlands Stromnetze sind oft überlastet. Die Leistung aus Wind und Sonne kann nicht stabil integriert werden – vor allem in Ostdeutschland sind die Netze am Glühen. Die Verteilnetzbetreiber von Eon hatten Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) deswegen in der vergangenen Woche zum Podiumsgespräch nach Berlin geladen – in der Hoffnung auf klare Antworten zur Frage, wie das überlastete Stromnetz für die Energiewende fit gemacht werden soll. Statt konkreter Zusagen gab es aber vage Verweise auf künftige Verordnungen und Digitalisierung.
Jetzt stellt Leonhard Birnbaum, der Chef des Eon-Konzerns, höchstpersönlich den bisherigen Kurs beim Ausbau von Wind- und Solarenergie infrage. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung mahnte Birnbaum, Deutschland solle „das Tempo des Ausbaus von Wind- und Solarenergie verlangsamen“, weil die Netze mit neuen Projekten „überfordert“ seien. Wie ernst meint Deutschlands zweitgrößter Stromversorger diesen Kurswechsel? Der Vorstandsvorsitzende des Energiekonzerns sprach sich in dem SZ-Interview dafür aus, die Ausbauziele für erneuerbare Energien zu reduzieren, da der Strombedarf in Europa „seit Jahren konstant“ sei. Die erneuerbaren Energien haben sich demnach durchgesetzt und würden bereits mehr als 60 Prozent unserer Stromerzeugung ausmachen, wird Birnbaum zitiert. „Es macht zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn mehr, neue Kapazitäten massiv zu subventionieren, insbesondere wenn eine weitere Windkraftanlage zwar Kosten verursacht, aber kaum Nutzen bringt.“
Damit verschiebt sich die Debatte: Während die Bundesregierung – und auch Reiche auf dem Berliner Branchentreffen – bisher vor allem auf bessere Integration und Entlastung der Erneuerbaren gesetzt hat, fordert der Chef eines der größten europäischen Energiekonzerne eine Atempause beim Ausbau, um das Netz nicht weiter zu überlasten. In mehreren Regionen stoßen die Leitungen an ihre maximale Auslastung, Netzbetreiber müssen immer häufiger Wind- und Solaranlagen abregeln und Entschädigungen zahlen. Diese sogenannten Redispatch- und Abregelungskosten gehen inzwischen in die Milliarden und landen am Ende auf der Stromrechnung von Haushalten und Unternehmen. Die Erzeugung aus Wind und Sonne beeinflusst die Preise sowohl kurzfristig – etwa bei Flauten und Dunkelphasen – als auch langfristig, weil flexible Gas- und Kohlekraftwerke den verbleibenden Bedarf decken müssen. Gleichzeitig versucht der Konzern, die Lage für Verbraucher zu beruhigen.
Birnbaum erwartet, dass die Strom- und Gaspreise im kommenden Jahr sinken werden – nicht weil die Netzprobleme gelöst wären, sondern dank staatlicher Subventionen für die Netzentgelte. Ohne politische Änderungen werde es jedoch nicht gehen, warnt der Eon-Chef: Nur mit neuen Rahmenbedingungen ließen sich „die Zuverlässigkeit des Systems gewährleisten und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie unterstützen“. Trotz des massiven Zubaus an Wind- und Solaranlagen bleibt Deutschland auf fossile Brennstoffe angewiesen, um Spitzenlasten abzudecken oder Phasen schwacher Einspeisung zu überbrücken. Diese Abhängigkeit hat sich nach der Abschaltung der letzten Kernkraftwerke im Jahr 2023 noch verstärkt.
Die Bundesregierung plant deshalb im kommenden Jahr eine Ausschreibung für eine neue Flotte von Gaskraftwerken, die abgeschaltete Kohlemeiler ersetzen sollen. Reiche hatte beim Berliner Branchentermin angekündigt, bis März Ausschreibungen für neue Gaskraftwerkskapazitäten auf den Weg zu bringen – die Branche reagierte jedoch zurückhaltend, weil Zusagen zu Finanzierung und Netzkapazitäten ausblieben. Das deutsche Stromnetz gilt zwar international als zuverlässig, steht aber auch durch den Boom neuer Rechenzentren und den schleppenden Leitungsausbau so stark unter Druck wie nie. Verteilnetzbetreiber warnen, dass große Anschlussanfragen für Speicher, Industrie und digitale Infrastruktur kaum noch bedient werden können – während die Politik zwischen mehr Klimaschutz, Blackout-Sorgen und Kostenstreit hin- und hergerissen ist.
Besonders in Ostdeutschland zeigt sich, wie teuer der notwendige Netzausbau wird. Der große regionale Netzbetreiber Mitnetz Strom plant nach eigenen Angaben Investitionen von rund drei Milliarden Euro bis 2030, um Leitungen und Umspannwerke auf die neuen Anforderungen auszurichten – die Berliner Zeitung berichtete. Sachsen Energie will gemeinsam mit dem Netzbetreiber Sachsen Netze bis 2027 etwa 730 Millionen Euro in den Ausbau des ostsächsischen Stromnetzes investieren. Bundesweit prognostiziert die Bundesnetzagentur für den Verteilernetzausbau bis 2032 Kosten von rund 42 Milliarden Euro. Eine vom Branchenverband DVGW zitierte Studie kommt sogar zu dem Ergebnis, dass über alle Netze und Bundesländer hinweg rund 730 Milliarden Euro anfallen könnten, wenn die gesamte Energieinfrastruktur – von Strom über Gas bis Wasserstoff – auf Klimaneutralität umgestellt wird.
Vor diesem Hintergrund ist Birnbaums Forderung nach einem „kontrollierten Tempo“ beim Ausbau der Erneuerbaren als Warnsignal zu verstehen. Berlin hat gerade ein halbes Dutzend Windkraftanlagen. Brandenburg will den Ausbau neuer Windanlagen in bestimmten Waldflächen vorerst pausieren, allerdings nicht wegen überlasteter Netze, sondern wegen eines Streits um den massiven Ausbau in Waldgebieten. Das lukrative Geschäft mit erneuerbaren Energien hat bundesweit zu einem Ausbauboom geführt.
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